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9. September 2020

Fakten vs. Frames – Ein ungleiches Paar

Na.

Wie geht es Ihnen?

Ganz egal, was Sie jetzt denken. Ob Sie Angst haben oder das aktuelle Geschehen für maßlos überzeichnet halten. Führen Sie sich vor Augen, dass es für beides Gründe gibt. Wenn Sie diese Gründe interessieren, dann kommen Sie nicht umhin zu hinterfragen, wie Sie zu Ihrer derzeitigen Einstellung kamen.

Im ersten Artikel schrieb ich über zwei Lager, über die „Befürworter“ und „Gegner“ der Corona-Maßnahmen, von Begriffen wie „Verschwörungstheorie“ und „Diffamation in guter Sache“. Wir sprachen darüber, warum Angst sehr schädlich für eine starke Gemeinschaft und gute Entscheidungen ist. Zuletzt habe ich über Uneinigkeit unter den Bürgern, aber vor allem auch Anfeindungen, die bis hin zu Glaubenskriegen reichen, thematisiert. Im letzten Beitrag ging es um eine verzerrte Berichterstattung über die Corona-Demo, die den Fokus vom eigentlichen Thema verrückte und die Bürger weiter spaltet. Leider wurde auch die zweite Versammlung vom 29. August 2020, deren Verbot im Sinne der Demokratie zurecht vom Verwaltungsgericht gekippt wurde, medial mit Teilwahrheiten fehlkonnotiert und durch die so vorgenommene thematische Neugewichtung als nicht weiter hörenswert abgewertet. Hierzu ein kritischer Beitrag von Investigativjournalist und Menschenrechts-Anwalt Guido Schmitz-Krummacher auf reitschuster.de, der die Perspektive etwas erweitert.

Und nun? Nun können Sie entweder weiterlesen oder sich diesem parodierten Online-Spiel zuwenden, in dem Sie in der Rolle der drei vom Bundespräsidenten gewürdigten Polizeibeamten vor dem Reichstag gewaltsam Demonstranten wegtreten können. Die einen nennen es witzig, andere wieder Wahnsinn. Man mag es geschmacklos finden, aber es ist Ihr gutes Recht es zu spielen, wurde es wie auch vieles Andere, dessen Notwendigkeit im Rahmen der Corona-Politik bedenklich ist, von Steuerbeiträgen bezahlt.

All das und mehr sind Auswüchse, Folgeerscheinungen, Symptome. Symptome dessen, was wir auch über Kommunikation, und im Speziellen Sprache, erzeugen. Was erzeugt wird.

Doch nicht nur Kritik, sondern auch Fakten gibt es mittlerweile genug zumindest um skeptisch zu sein – was in einem gesunden Maß nie verkehrt sein dürfte. Ginge es allerdings „nur“ um Fakten, dann wäre der Umgang mit so manchem Thema ein Differenzierterer. Hätten etwa Fakten rund um Corona, die Flüchtlings-Debatte, unsere Rente oder die Steuer eine objektive Bedeutung, die sich jedem Mitbürger gleichermaßen erschließt, und zwar unabhängig von seiner Weltsicht, dann gäbe es keinen Streit um den Umgang mit dem jeweiligen Thema. Da wir Menschen aber eben nicht logisch und rational handeln, sondern uns davon beeinflussen lassen, wie wir uns mit einer Sache fühlen, entscheiden wir eben auch in Abhängigkeit verschiedenster Umstände und sind uns dessen in den seltensten Fällen bewusst.

Wussten Sie zum Beispiel, dass sich eine Margarine besser verkauft, wenn sie als “97% fettfrei” anstatt “3% fetthaltig” beworben wird; oder dass sich Personen eher für eine Operation entscheiden, wenn ihnen eine 90%ige Überlebenschance prognostiziert wird, aber dagegen, wenn es sich um ein 10%iges Sterberisiko handelt (vgl. Kahneman, 1991)? Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich in beiden Fällen um haargenau das gleiche Ergebnis, das Personen in Abhängigkeit der Darbietung dennoch völlig anders wahrnahmen und beurteilten. Ein anderes Beispiel: Denken Sie an die die Champions League letzten Monat zurück. Die Medien berichteten wahlweise FC Bayern gewinnt oder Paris St. Germain verliert“. Logisch betrachtet sind beide Schlagzeilen zum Spielergebnis miteinander austauschbar, sie bezeichnen denselben Weltzustand und sind beide wahr. Doch haben sie eine ganz andere Bedeutung und sie lösen grundverschiedene Assoziationen aus. Woran liegt das?

Framing

Um Dinge, die wir u.a. mit Worten erfassen, zu bewerten um daraus unsere Wirklichkeiten zu konstruieren, aktiviert unser Gehirn neuronale Frames, die auf Basis von persönlicher Erfahrung sowie Welterfahrung Wissen, Bilder und Vorstellungen beinhalten, aber auch Emotionen simulieren und Verhaltensweisen vorbereiten.

Das heißt, Kommunikation aktiviert Frames und diese Frames rufen Assoziationen hervor, z.B. folgende: Dass FC Bayern gewonnen hat, ruft Gedanken an die deutsche Mannschaft auf und was sie getan hat um zu gewinnen. Paris hat verloren, ruft Gedanken an die Pariser Mannschaft auf und was dazu geführt hat, dass sie das Spiel verlor. Ein 10 prozentiges Sterberisiko entspricht einem Verlust-Frame und ruft Gedanken ans Sterben hervor, Überlebenschancen dagegen sprechen von Leben und stellen einen Gewinn-Frame dar. Ein realitätsgebundener Entscheider würde sich für keine der beiden Varianten mehr oder weniger aussprechen. Doch Wahlen sind (meist) nicht realitätsgebunden, da unser kognitiver Wahrnehmungsapparat schon nicht realitätsgebunden ist. (Suggerierte) Verluste rufen negative Gefühle hervor, die es zu vermeiden gilt, obwohl in der Beschreibung logisch betrachtet die Chancen zu überleben oder zu sterben gleich sind.

Mit Framing ist also ein Vorgang gemeint, bei dem innerhalb einer Kommunikation über Assoziationen, welche neuronal gelernt sind, ein Deutungsrahmen erzeugt wird, der unsere Wahrnehmung und unser Denken leitet und in der Folge entsprechendes Handeln in Gang setzt. Dabei wird davon ausgegangen, dass unser Wissen in einer Art Netzwerkmodell organisiert ist, deren Knoten über assoziative Bahnen verbunden und je nach Zugänglichkeit stärker oder schwächer ausgeprägt sind (Anderson & Bower, 1973). Jedes einzelne Wort aktiviert einen Frame im Kopf des Rezipienten und Frames aktivieren kognitive Schemata und damit einhergehende Bewertungen und Beurteilungen (z.B. Price, Tewksbury & Powers, 1997). Schemata sind dazu da unsere Welt zu ordnen und die Komplexität zu reduzieren. Sie machen schnelles Denken und Entscheiden möglich und unsere Umwelt begreifbar. Ohne solche mentalen Modelle geht’s nicht, genauso wie sich der Mensch auch nicht rein rational und aufgrund einer objektiven Abwägung von Fakten für oder gegen Dinge entscheiden kann. Nach aktueller Forschung laufen ca. 2% unserer Hirnaktivitäten bewusst ab, 98% gehen auf automatische Prozesse zurück. Jedes Verarbeiten von Fakten findet also zunächst innerhalb von automatischen Prozessen und von Frames statt, in denen wir unsere Welterfahrung abspeichern.

Hierzu ein paar Beispiele, die zeigen, dass Ideen und Dinge, die eigentlich nur gesprochene bzw. geschriebene Worte sind, ein Bündel an Wissen enthalten, die unweigerlich Frame Semantik mit-aktivieren:

  • Das Wort Nagel aktiviert einen Frame, zu welchem Assoziationen wie Hammer, Schlagen, Brett, Wand oder Holz gehören. Personen kommen diese Ideen teilweise so automatisch in den Sinn, dass sie in einer nachträglich wiederzugebenden Erzählung der Meinung sind, sie hätten diese lediglich assoziierten Ideen tatsächlich auch gehört oder gelesen.
  • Das Wort Salz zum Beispiel aktiviert einen Deutungsrahmen, der unbewusst auch Konzepte wie Essen, Geschmack und sogar körperliche Reaktionen wie Durst impliziert, da das Gehirn auf seine Welterfahrung zurückgreift, um die persönliche Bedeutung von Salz abzurufen. Um die Semantik des Wortes zu erfassen, wird es alles das aktivieren und neuronal simulieren, was es dazu abgespeichert hat; und dazu gehört sogar das in Erinnerung Rufen von Geschmack.
  • Das Wort Schimmel wird genauso wie Salz benachbarte Konzepte hervorrufen und darüber hinaus über psychische Aktivierung physischen Ekel verursachen, also ein Gefühl.
  • Das Wort Virus wird Assoziationen zu Krankheit, Arzt, Medikamente, Schmerzen hervorrufen. Dieses Wort wird Ihre persönlichen Erfahrungen mit vorherigen Erkrankungen, Ihre eigenen oder die Ihrer nahen Angehörigen wie der Kinder, in Erinnerung rufen und sogar geistig simulieren, wie sich die schlaflosen Nächte und schmerzenden Glieder angefühlt haben. Je nachdem wie emotional konnotiert der Begriff Virus für Sie ist – für die meisten Menschen wird er negativ sein –, werden Sie diese in Erinnerung gerufene Erfahrung, genauso wie Ekel aus dem vorherigen Beispiel, vermeiden wollen. Dieses Vermeidungsverhalten kann durch Wortwahl gesteigert oder gemäßigt werden.

Es gibt dabei Begriffe, die besonders geeignet sind um eine Fülle an Assoziationen aufzurufen, etwa Metaphern und Begriffe, bei denen das Gehirn bei der Verarbeitung insbesondere auf direkte Welterfahrung in Form neuronaler Simulationsprozesse zurückgreift. Hierzu zählen konkrete Gegenstände, die quasi Prototypen für eine Kategorie darstellen, wie Zitrone oder allgemein geläufige Konstrukte wie Krankenhaus. Schon schwieriger bei der Verarbeitung sind Wörter, die sich auf spezielle, abstrakte oder immaterielle Konzepte beziehen, wie Zuneigung, Kriminalität oder Demokratie. Letztere können wir nicht anfassen, riechen, schmecken oder hören, also müssen wir uns sie überhaupt erst mithilfe konkreter Konzepte über unsere Realität begreifbar machen, um ihnen eine Bedeutung geben zu können. Nehmen wir z.B. das Konzept der Zuneigung. Für Das Konzept Zuneigung haben wir die Metapher Zuneigung ist Wärme. Warum? Weil wir konkrete Erfahrungen aus unserem Leben nutzen, um abstrakten Vorstellungen oder Ideen eine Bedeutung zu verleihen. Welche Erfahrungen wir aktivieren, hat damit zu tun, welche Erfahrungen wir in unserem Leben machen. Haben wir also Zuneigung zusammen mit körperlicher Wärme durch körperliche Nähe schon als Kinder zu unseren Eltern erlebt, lernen wir einen Frame, der sich aus der Übertragung der Kategorie Temperatur auf die Kategorie Zuneigung entwickelt hat. Aus diesen Gründen sprechen wir auch von der kalten Schulter, erwärmenden Worten oder warmherzigen Menschen. Diesen Prozess nennt die Kognitionsforschung Hebbian Learning oder auch Hebbsche Lernregel, benannt nach dem Begründer und Psychologen Donald Hebb. (vgl. Wehling, 2016)

Anderes Beispiel: In einem Experiment von Thibodeau/Boroditsky (2011) erhielten Probanden einen Text zur Kriminalitätsbekämpfung mit unterschiedlicher Wortwahl präsentiert. Anschließend nahmen sie an einer Meinungsumfrage teil. Wird Kriminalität in einem Text z.B. über einen Virus geframt (z.B. “Kriminalität befällt alle Wohngegenden”), als eine gefährliche Krankheit, dann sind Personen nachweislich für Präventionspolitik, um Kriminalität zu bekämpfen. Erfolgt das Framing desselben Themas allerdings über das Bild eines Raubtiers (z.B. “Kriminalität lauert in allen Wohngegenden.”), dann sprechen sich Personen eher dafür aus, Kriminelle einzufangen, wegzusperren und mit härteren Strafen zu verurteilen. Sprachliche Framings wirken sich unmittelbar auf die implizite Bewertung faktischer Informationen aus. Interessanterweise geben diese Personen in einer nachfolgenden Befragung über ihre Gründe für ihre Entscheidungen, nicht die sprachlichen Unterschiede, sondern die Fakten (Statistiken, Kennzahlen usw.) an, die allen Texten gemeinsam waren. D.h. das Framing läuft unbewusst ab. Das wurde in zahlreichen Studien festgestellt, z.B. in einer Studie zur Entscheidungsfindung bei ungewissen Risiken von Amos Tversky und Daniel Kahneman (1986), die zeigt, dass Experten wie Ärzte genauso anfällig für Framing-Effekte sind wie medizinisch ungebildete Personen.

Frames betten neutrale Informationen in bestimmte Bedeutungsumfelder ein, sie bieten damit eine Art Interpretationsraster für rezipierende Personen, die in der Folge beeinflussen wie wir über Themen, Personen oder Ereignisse denken, welche Einstellungen wir entwickeln und inwieweit wir diese erinnern können (z.B. Goffman, 1974). Um Zahlen, Daten, Fakten zu bewerten, müssen wir einen Frame aufrufen, es ist die Frage welchen wir nutzen. Je nachdem welchen Ausdruck wir für einen Sachverhalt wählen, können wir bei seiner Bewertung durch Andere eine bestimmte Perspektive vorgeben und ein- und demselben Fakt mittels unterschiedlicher Frames entsprechende, sogar gegensätzliche Bedeutungen verleihen, wie eingangs verdeutlicht. Objektives, faktenbegründetes und rationales Denken, wie es z.B. das Konzept des Homo Oeconomicus annimmt, gibt es nach aktuellem kognitionswissenschaftlichem Stand nicht. Fühlen sich Menschen zu faktenbasierten Inhalten (Kennzahlen, Statistiken, etc.) zugezogen, dann weil diese für sie einen hohen emotionalen Wert haben und grundlegende Motive nach Effizienz, Funktionalität oder Präzision bedienen. Sie aktivieren in diesem Fall auch das Belohnungssystem im Gehirn.

Es gibt zahlreiche Studien, die die Effekte von Framing nachweisen, so z.B. dass Veränderungen in der sprachlichen Gestaltung Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben (z.B. Kahneman & Tversky, 1984), dass Framing Einstellungen, Emotionen und Verhalten beeinflusst (z.B. Cappella & Jamison, 1997) sowie die Zuschreibung von Verantwortlichkeit und Lösungsfindung für (soziale) Probleme (z.B. Iyengar, 1991). In der Studie von Bargh et al. (1996) konnte gezeigt werden, dass sich Sprache direkt auf Verhalten auswirkt, indem sie Probanden Texte gaben, die sie an Alter oder an beliebige Konzepte (Kontrollgruppe) denken ließen. Personen, die Begriffe wie grau, Rente, sentimental, vergesslich, faltig lasen, zeigen nach dem vermeintlichen Ende des Experiments auf dem Weg zum Aufzug ein Verhalten, das mit Alter assoziiert ist. Sie gingen signifikant langsamer als die Kontrollgruppe.

Framing wird zum Beispiel im werblichen Kontext von Unternehmen, bei der Gestaltung von Nachrichten und in der politischen Kommunikation angewandt, etwa im Rahmen von Gesundheitskampagnen, zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung bei Wahlen oder wie derzeit zur Begründung der C-Maßnahmen und Mobilisierung der Bürger in diesem Zusammenhang. Gerade in der Politik sind Frames, die kurzum so oder so wählbar sind, von besonderer Bedeutung, da die Politik eben mit vielen abstrakten Konzepten und Begriffen wie Demokratie, Regierung, Bildung, Gesundheit, Steuern, Klima, usw. arbeitet.

Framing in der werblichen Kommunikation

Worte aktivieren Frames: Aufgrund dieses einfachen Prinzips sind Sprache und Bilder das wirkvollste Instrument für die Mobilisierung von Menschen. Die Framing-Forschung zeigt eindeutig, dass wir uns in unseren Entscheidungen von Frames leiten lassen ohne es zu merken. Frames bestimmen auch mit welcher Leichtigkeit wir Fakten begreifen. Deshalb macht Framing werbliche Kommunikation überhaupt erst wirklich wirksam.

Frames in der Markenkommunikation haben klare Vorteile. Sie bringen mit konkreten Vorstellungen Wertekommunikation auf den Punkt. Starke Frames setzen starke Anreize und lösen starke Reaktionen aus. Unsere Gehirne sind empfänglich für Frames, weil sie immer erst eine Deutungsmöglichkeit aufrufen müssen um Dinge zu verstehen. Wenn wir diesem also Frames anbieten, dann liefern wir ihm bei der Verarbeitung von Reizen eine kortikale Erleichterung, was zu schnellem und gefühlt richtigen Entscheiden (im Übrigen in beide Richtungen, für oder gegen Ihr Produkt) führt. Wir bewerten ein Angebot intuitiv innerhalb kürzester Zeit, in wenigen Millisekunden anhand einer großen Menge an Wissen, Erfahrungen, implizit und gelangen mit einer gefühlten Leichtigkeit zu einem Urteil.

„Tatsächlich ist es so, dass unser Gehirn Fakten dann besonders gut berechnen kann, wenn diese in die bereits über Sprache aktivierten Frames passen. Andersherum gesagt: Ist ein bestimmter Deutungsrahmen über Sprache aufgerufen, und werden wir dann mit einer Information konfrontiert, die nicht in diesen Frame passt, so reagiert unser Gehirn zunächst wie ein bockiges Pferd: Es weigert sich, die abweichende Information als Teil der Realität aufzunehmen!“

Wehling, 2016, S. 34

Ist Framing ethisch?

Die Frage ist berechtigt. Wenn Framing Menschen beeinflusst, also einer Manipulation entspricht, ist es dann ethisch? Dazu folgende Gegenfrage: Was ist eigentlich nicht manipulativ, also einflussnehmend? Wenn Sie diesen Text lesen, sind sie danach genau der Mensch, der sie zuvor waren oder hat er sie in irgendeiner Form beeinflusst, verärgert, bestätigt, bereichert? So gesehen findet Manipulation in irgendeiner Form ständig statt. Sie manipulieren, sie werden manipuliert. Eine andere Gegenfrage könnte lauten: Kann etwas, dass unserer Art, die Welt zu begreifen, entspricht, moralisch falsch sein, wenn wir wissen, dass unser Gehirn überhaupt erst Frames braucht um die Welt zu verstehen?

Zwei Aspekte hierzu:

1. Das “Problem” an Frames ist, dass sie immer selektiv sind, d.h. sie blenden immer einen Teil der Realität aus, gleichzeitig ist uns das meist nicht bewusst.

Nehmen wir als Beispiel den Frame des Leistungsträgers, einen völlig legitimen, gängigen Begriff unserer Sprache, der allerdings bereits unsere Definition von Wirklichkeit wesentlich mitprägt. Warum? Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Konzept der Leistung und dem Konzept der Fitness, wobei Letzteres dem Ersten seine Bedeutung geben soll, indem konkrete Eigenschaften aus dem Bereich der Fitness auf die abstrakte Vorstellung von Leistung übertragen werden. Der Begriff macht Leistung folglich als ein hohes Maß an körperlicher Fitness begreifbar, denn je mehr Leistung man erbringt, desto stärker ist man. Wenn man Leistungsträger nun sprachlich noch mit Gutverdiener gleichsetzt, dann trägt derjenige viel auf seinen Schultern, der viel Geld verdient, und das bedeutet, er ist ein starker Mensch. Physische Stärke wird metaphorisch in moralische Stärke umgewandelt. Diesen Frame aufgreifend und seiner inneren Logik folgend, ist Einkommenshöhe von der moralische Stärke einer Person abhängig und führt vermeintlich folgerichtig zu Reichtum, Einfluss, Erfolg und wirtschaftlicher Kontrolle, wenn man körperlich stark ist. Deswegen reden wir auch von sozial stark und sozial schwach. Dass es sich dabei um ein sozialdarwinistisches Märchen handelt, erkennt man daran, dass menschliche Stärke, Willenskraft und Leistungsfreude in unserer Gesellschaft keineswegs automatisch zu Erfolg führen. Der Frame blendet nämlich aus, dass (Miss-)Erfolg zu großen Teile systematisch bedingt ist; dass sich Unternehmen z.B. auf Grundgesetze oder die gemeinsam finanzierte Infrastruktur wie unsere Gerichts-, Kommunikations-, Verkehrs-, Bildungs- und Gesundheitssysteme verlassen; dass viele vor allem nicht sichtbare Personen, die viel leisten, dennoch nicht besonders reich sind; dass (Miss-)Erfolg natürlich auch von purem Zufall bedingt ist oder auch auf strukturelles Ungleichgewicht zurückzuführen ist: „Misserfolg ist immer auch durch die Stellung in der Gemeinschaft und, zumindest sehr häufig, durch kollektive Ausgrenzung mitbedingt – Menschen werden zum Beispiel in nicht privilegierte Gruppen hineingeboren oder von Power-Holdern in unserer Gesellschaft ausgebremst – wie etwa Frauen durch Sexismus, Nicht-Weiße durch Rassismus, Nicht-Christen durch religiöse Abwertung und Nicht-Bildungsbürger durch intellektuelle und sozialen Elitismus.“ (Wehling, 2016). Darüber hinaus ist Geld und Prestige kein objektiv gültiges und verallgemeinbares Lebensziel, denn nicht jeder sieht den Sinn seines Daseins in finanziellem Wohlstand oder in tragenden berufliche Positionen.

2. Endet ethisches Framing dort, wo die Rechtssprechung von Irreführung, Täuschung oder Betrug spricht. Dadurch, dass Frames eben selektiven Charakter haben oder durch Kopplung von Konzepten neue Deutungsrahmen schaffen, lassen sich eben auch Sachverhalte durch Framing kaschieren oder faktisch falsch darstellen. Hinzukommt, dass uns Framing Prozesse nicht bewusst sind. Umso wichtiger ist es ein Bewusstsein für Framing zu entwickeln und in der Lage zu sein seinen eigenen Standpunkt in Debatten mit ebenbürtiger, wirksamer Sprache zu vertreten.

Somit kann Framing nicht per se als gut oder schlecht bewertet werden, es kommt drauf an, was man draus macht. Es kommt auf die Sichtweise, auf die Definition von Manipulation und vor allem auf die Absichten an. Betrachtet man Framing gerade für Unternehmen als Instrument für erfolgreiche Kommunikation, dann kann es einen wirkungsvollen Mechanismus darstellen um transparent zu vermitteln, worum es dem Unternehmen auf Werteebene geht, wofür man steht und aus welcher Perspektive man auf die Welt schaut. Der Konsument kann sich dem mit seiner Kaufentscheidung anschließen oder nicht. Nur so lässt sich identitätsstiftende, zielgruppengerechte Markenkommunikation etablieren und ein Profil schärfen. Nur so können Sie Ihre expliziten Zielgruppen erreichen und ihre speziellen Sehnsüchte, Bedürfnisse und Motive adressieren. Wenn Sie das in Ihrem Unternehmen vermissen, dann kann ich Ihnen dabei helfen. Schreiben Sie mir, wo die Herausforderung in Ihrer strategischen Kommunikation liegt!

Learnings

Die folgenden, kognitionswissenschaftlich belegten Learnings mögen vor allem für faktenorientierte Menschen schwer zu akzeptieren sein: Fakten haben an sich keine Bedeutung. Erst ihre Interpretation macht sie für uns konkret begreifbar. Gilt es Worte oder Ideen zu begreifen, so aktiviert das Gehirn einen Deutungsrahmen, der Frame genannt wird. Inhalt und Struktur eines Frames, also die jeweilige Frame-Semantik, speisen sich aus unseren (körperlichen) Erfahrungen mit der Welt, wie Motorik, Raum, Zeit oder Emotionen. Framing schafft dabei Denkrahmen, mit denen ein- und dieselbe Information völlig unterschiedlich bewertet wird. Ist ein Frame erstmal gesetzt, leitet er unsere Wahrnehmung, unser Denken und Verhalten und lässt unser Gehirn wie ein bockiges Pferd auf konträre Frames reagieren. Dabei berücksichtigen wir meist nicht, dass geframte Sprache selektiv ist und einen ebenso wahreren Teil der Realität ausblendet. Frames heben also bestimmte Fakten hervor und lassen andere unter den Tisch fallen. Dennoch ist Framing nicht per se unethisch, kann es jedoch auch irreführend betrieben werden, indem es tatsächliche, wichtige zu berücksichtigende Sachverhalte verschleiert, über- bzw. unterzeichnet oder gar völlig ausblendet. Das sollten wir uns bewusst machen.

Wie das Framing aus meiner Sicht im Falle der politischen Debatte um Corona aussieht, gehe ich im zweiten Teil dieser Artikelserie ein. Auf das Szenarienpapier des BMI “Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen”, das konkrete, meiner Ansicht nach unethische Kommunikationsvorschläge macht, hatte ich ja bereits in meinem Artikel “Virale Zeiten – Zwischen Wahn und Wirklichkeit” beschrieben. Ab wann ist Framing, oder auch allgemeine Kommunikation aus Ihrer Sicht unethisch? Ich bin gespannt auf konstruktive Kommentare oder auch einfach nur auf Ihr Feedback. Viele Grüße!

Quelle Beitragsbild: RKI Dashboard

Veröffentlicht in Kommunikation, Psychologie
1 Kommentar
  • Pierre

    Man lern nie aus, wozu auch, wenn Wissen so hervorragend aufbereitet und rezipierbar gemacht wird. Danke

    18:26 16. September 2020 Antworten
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