Wenn ein Thema so zentral ist und weitreichende Folgen mit sich bringt wie die Corona-Politik, dann kann sich dem kaum einer entziehen. Führen Sie ein Unternehmen, dann können Sie das sowieso nicht – schon allein, weil Sie gewisse Verordnungen zu erfüllen haben und darüber hinaus intern einen Umgang mit dem Thema kommunizieren sollten. Und extern? Wie in der Kundenkommunikation umgehen mit gesellschaftlich-politischen Themen, die auch noch spalten, Shitstorms auslösen, Kundenverlust oder einen Image-Schaden bedeuten könnten? Was ja zweifelsohne berechtigte Sorgen eines Markenmanagers sind.
Nicht zuletzt aus Gründen des Vertrauensfangs in unsicheren Zeiten entschieden sich viele Marken schnell dazu, die Zeichen der Zeit aufzugreifen und z.B. Masken in ihre Werbespots zu integrieren. Im Ladengeschäft bot man dieses symbolträchtige Kleidungsstück netterweise an, ansonsten erfolgte kein Einlass oder keine Bedienung.
Kleiner Exkurs hierzu: Ich kann teilweise gar nicht in Worte fassen, wie ich fröhlich gestaltete Aufkleber und Aufsteller, die eine Aufschrift wie „Keine Bedienung ohne Maske“ tragen, empfinde. Für mich zeugt dieses Verhalten von Geschichtsvergessenheit, befördert gesellschaftliche Spaltung und ist damit nicht nur unter gesetzlichen Aspekten (Verstoß gegen §19 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)), sondern auch unter menschlichen und ethischen Gesichtspunkten eine völlige Unart. Mit und ohne nachgeplapperter Solidarität. Unternehmen, die diese Hinweise anbringen, übertreiben es. Keine bisher geltende Verordnung sah per se eine Nicht-Bedienungen von Personen mit unbedeckten Mund-Nasen-Bereichen vor. Im Gegenteil, die Verordnungen sehen Ausnahmen zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen vor. Dennoch werden Hausrechte zur Durchsetzung dieser selbst-erfundenen Maßnahme missbraucht, weswegen solch ein Hinweis als politische Positionierung erachtet werden muss. Es ginge auch durchaus anders: Unternehmen könnten die Hinweispflicht erfüllen und gleichzeitig um Akzeptanz und Respekt gegenüber allen Mitmenschen bitten, die dieser nicht nachkommen können. Diskriminierung ist kein Spaß. (Dieser Satz sollte trivial sein.) Wir sollten alle menschlich bleiben, so sehr die Meinungen auch auseinander gehen. Ich vermute, dass vielen Marketing-Abteilungen die Tragweite Ihrer Einfälle nicht bewusst ist. Sie prägen dennoch unsere Kultur mit.
Auch übertreffen sich manche Markenanbieter mittlerweile mit kreativen Kampagnen rund um die Hygiene-Maßnahmen und betreiben damit auch Werbung für den Regierungskurs, der ja durchaus auch unter Kritik steht und weltweit für Proteste sorgt. Kein Wunder, renommierte, internationale Kommunikationsagenturen wie Edelman veröffentlichen in ihren Reports Empfehlungen für den Umgang mit dem schwierigen Thema Covid-19. Edelman stellt derzeit z.B. fest: “90 Prozent der Deutschen geben an, dass Marken ihre Mitarbeiter und Zulieferer finanziell und gesundheitlich schützen sollten, auch wenn es bedeutet, bis zum Ende der Pandemie wirtschaftliche Verluste zu erleiden.” Die Verantwortung zu erkennen, Vertrauen zu vermitteln, bei der Bewältigung der Krise zu helfen usw. sei also essentiell und werde erwartet. Was erwartet wird, wurde jedoch zuvor schon längst politisch kommuniziert und angesichts drohender Gefahren akzeptiert. Zudem sei hinzugefügt, dass der zuständige Teilnehmer im Rahmen des letzten Pandemie Planspiels “Event 201” (Sept 2019) für eine einheitlich durchzuführende PR- und Kommunikationsstrategie Matthew J. Harrington war, seines Zeichens Präsident von Edelman Global.
- Wie dem auch sei, wenn dieses Vorgehen in Ihren Augen ein außergewöhnlicher Service ist, dann sollten Sie sich entweder anderweitig informieren oder weiter so verfahren.
- Wenn Sie das Thema allerdings nicht unterstützen möchten oder Ihre Produkte schlichtweg nicht mit Corona-Maßnahmen assoziieren wollen, dann tun Sie das nicht. Zwischen Befürwortung und Ablehnung liegt immer noch ein Neutral. Halten Sie sich maximal an die rechtlichen Verordnungen und vermitteln Sie Respekt und Akzeptanz zwischen Ihren Kunden.
- Liegt Ihnen etwas daran, sich an einem kontroversen Thema zu beteiligen, so ist auch das nicht ausgeschlossen. Gerade in Zeiten, in denen die meisten Marken versuchen nicht aufzufallen und Sympathiepunkte durch Beteiligung an der Mehrheitsstimmung zu sammeln, kann das eine Chance für Sie sein. Es erfordert eine klare Vorstellung von Ihren Markenwerten, die Kenntnis Ihrer Kundensegmente, Mut, Unbeirrbarkeit und Rückhalt im Unternehmen. Aber dann haben Sie die Chance einen bleibenden Eindruck bei Ihren Kunden zu hinterlassen.
Marken haben längst nicht mehr nur die Funktion den Absender zu kennzeichnen; auch bestimmte Assoziationen zu wecken, ist mehr eine notwendige Bedingung. Marken sollten heute für etwas stehen und sich dafür öffentlich engagieren. Es reicht nicht mehr aus, ein herausragendes Produkt oder eine Dienstleistung zu einem attraktiven Preis anzubieten. Verbraucher wollen von authentischen, zweckorientierten Marken kaufen, die für etwas stehen und mit ihren persönlichen Werten übereinstimmen. In einer Zeit der kontroversen Themen und festgefahrenen Meinungen, können die Aussagen einer Marke zu gesellschaftspolitischen Themen der X-Faktor sein, der Interessenten zu loyalen Kunden macht und neue Follower anzieht. Nur das Mittelmaß mag keine Abweichung.
Wenn das Thema nichts mit Ihren Markenwerten zu tun hat: Bleiben Sie lieber neutral und überlegen Sie, ob Sie das was Sie zu sagen haben, nicht stattdessen zur Schärfung Ihrer Personenmarke nutzen. Existiert ein Markenfit, dann kann Markenaktivismus, vor allem für noch unbekannte oder junge Marken, zu einem ökonomischen Katalysator werden. Darüber hinaus sollten Sie beachten, wie Ihre Zielgruppen mit dem kontroversen Thema umgehen und, ob diese Ihre Stellungnahme und ein Engagement nicht sogar fordern. Eine Studie von Accenture Strategy hat ergeben, dass 62% der Verbraucher sich wünschen, dass Unternehmen sich für die Themen einsetzen, die ihnen am Herzen liegen. In einer US-amerikanischen Umfrage fand man heraus, dass 33% der Verbraucher absichtlich mehr von einer Marke kaufen würden, die eine kontroverse Meinung vertritt, die mit ihren Überzeugungen übereinstimmt.
Angesichts dessen ist es keine Überraschung, dass zweckorientierte Unternehmen einen höheren Marktanteil haben. Sie wachsen im Durchschnitt dreimal schneller als ihre Wettbewerber.
Die Entscheidung, Aktivismus zu betreiben, sollte immer auch von den Erwartungen der Zielgruppe bzw. den Kunden abhängen. Wenn Sie eine spitze Positionierung und eine experimentierfreudige Community haben, die sich fragt, warum Sie zu einem wichtigen Thema schweigen, ist das die beste Voraussetzung, Ihre Meinung kundzutun. Schließlich leben wir in Zeiten, in denen der multioptionale Konsument nicht zögert, eine Marke zu meiden, wenn er das Gefühl hat, dass sie nicht angemessen auf ein gesellschaftliches Thema reagiert. Das liegt daran, dass sich immer mehr Verbraucher mit dem Zweck und der Mission eines Unternehmens identifizieren wollen.
Wenn also die Führung in Ihrer Organisation eine starke Meinung zu einem bestimmten Thema hat, dann könnte es ein kluger Schachzug sein, sich öffentlich zu engagieren. Es könnte durchaus die Markenbekanntheit steigern, das Wachstum ankurbeln und gleichzeitig die Moral der Mitarbeiter und die Unternehmenskultur stärken. Jeder Fall ist natürlich einzeln zu prüfen.
Überlegen Sie auch, wo das Engagement stattfinden soll. In den sozialen Medien ist Authentizität in allen Bereichen der Schlüssel – Echtheit ist besonders wichtig, wenn man sich zu gesellschaftspolitischen Themen äußert. 61% der Verbraucher sind der Meinung, dass zu viele Unternehmen soziale Bewegungen als Marketing-Aktion nutzen, und sich lediglich ihr Image aufpolieren wollen. Vor diesem Hintergrund kann sich die Entscheidung, ob man Markenaktivismus verfolgt, wie ein Zwiespalt anfühlen – denn Verbraucher wollen, dass sich Marken zu Wort melden, sind aber oft skeptisch gegenüber denjenigen, die das tun.
Vielleicht ist folgende Faustregel nützlich: Im Zweifel gegen Brand Activism. Wenn Sie schon darüber nachdenken, ob ein Engagement richtig wäre, dann handelt es sich wahrscheinlich nicht um eine tiefe Überzeugung.
Wenn Sie sich für Brand Activism entscheiden
Nehmen Sie vorab unbedingt eine Chancen-Risiken-Abwägung vor und gehen Sie nicht plan- und ziellos vor. Bleiben Sie dabei immer bei den Fakten, ohne Ihre Haltung zu verleugnen. Knicken Sie nicht gleich beim ersten Gegenwind ein, reagieren Sie nicht auf jede Behauptung, Suggestion oder Provokation. Haben Sie stattdessen eine klare Argumentation vor Augen, die Sie mit eigenen Worten und nicht in dem Deutungsrahmen Ihres Gesprächspartners vermitteln. Das wird in Zukunft (und vor allen dann, wenn der Wind sich dreht) zu Ihrer unumstößlichen Haltung, für die Ihnen Respekt gezollt wird.
Marken sollten im Umgang mit Aktivismus sehr achtsam sein und ihre Überzeugung auf keinen Fall anbiedern. Das wird mit Gegenreaktionen beantwortet. Versuche, das soziale Kapital Ihrer Marke zu erhöhen, sollten immer intrinsisch sein und feinfühlig umgesetzt werden. Dennoch wird es in der heutigen hyperpolarisierenden Landschaft unmöglich sein, jeden anzusprechen. Aus diesem Grund birgt Markenaktivismus das unvermeidliche Risiko, einige Interessenten und Kunden zu verärgern. Sie können dafür eine eifrigere Anhängerschaft gewinnen, wenn Sie eine klare Seite in einer gesellschaftlichen Debatte vertreten wollen.
Alternativ kann eine kontroverse Meinung auch von verantwortlichen Personen, wie dem Chef oder dem Management des Unternehmens, öffentlich vertreten werden. Das würde zur Profilierung Ihrer Personal Brand beitragen und Sie aus der Maße „gesichts- und profilloser“ Manager hervorheben, die ihre Ecken und Kanten aufgrund immer fehlerintoleranteren Unternehmenskulturen weiter verstecken statt sie zu kultivieren. Da Ihr Ruf ohnehin immer auch auf Ihr Unternehmen abstrahlt (je nachdem wie eng die Verbindung ist), wird über die Wahrnehmung Ihrer Person indirekt auch Ihre Unternehmensmarke aufgeladen. Nehmen Sie unbedingt eine Einzelfallanalyse und -bewertung vor, bevor Sie mir Ihrer Kommunikation starten!
Drei Beispiele zur Corona-Debatte
The Koffie Co.
“The purpose inside you is greater than the giant in front of you”. Seit dem 07. Dezember 2020 spricht der Inhaber der US-amerikanischen Kaffeerösterei The Koffie Co. via Instagram direkt zu seinen Kunden. Eine sympathische und mutige Durchsetzung einer eigenen Vorstellung von Leben, Arbeiten und Gesellschaft. Respekt. In den Instastories repostet das Team Aktionen von weltweiten Nachahmern. Gleichzeitig bietet das Café die Möglichkeit, Bestellungen online vorzunehmen und vor Ort abzuholen.
Cinque
Nicht selten lösen Marken Ihre Werbeverträge mit Personen auf, sobald diese in Berührung mit einem kontroversen Thema kommen. Nicht so dieser Damen- und Herrenausstatter von Ferdinand Wegscheider im Servus TV, der grundsätzlich eine sehr eloquente, pointierte Darbietung seiner kritischen Meinung pflegt, so auch in der Corona-Debatte. Die Marke Cinque behält Ihr Engagement unverändert bei, verfolgt ihre Kommunikation im Online-Shop und auf Social Media wie gehabt weiter, ohne Assoziationen zu Hygiene-Aspekten oder politischen Botschaften.
Douglas
Dass selbst Gewerkschaften wie ver.di Unternehmen geschlossen sehen wollen und der couragierte Ansatz von CEO Tina Müller, den Geschäftsbetrieb teilweise aufrecht zu erhalten, sofort unterbunden werden, zeigt der Fall Douglas. Als die wohl bekannteste Parfümerie-Kette bedient Douglas einen Massenmarkt. Dass sich somit viele Personen zu Wort melden, hätte vorab klar sein müssen. Dass darunter viele Moralapostel sein werden, auch. Und natürlich bringt es nichts einen Betrieb zu öffnen, den verängstigte oder verärgerte Kunden dennoch nicht aufsuchen werden. Wäre es vielleicht besser gewesen, die Community vorab ins Boot zu holen und in einer öffentlichen Umfrage herauszufinden, wie groß der Rückhalt für dieses Vorgehen wäre? Nachvollziehbar, aber m.E. sehr sehr schade, dass Frau Müller zurückrudern musste.
Fazit
Natürlich spielen viele Faktoren in die Entscheidung über die beste Kommunikation. Dreh- und Angelpunkt bei all Ihren Marketingmaßnahmen und vor allem bei gesellschaftlichen Engagements sollten aber Ihre Markenwerte bzw. Ihre Marke im Gesamten sein. Die Definition einer Marke hat damit Vorrang vor allen Maßnahmen. Erst wenn Ihnen eine Markenstrategie vorliegt, können Sie nachhaltige Entscheidungen über das Verhalten Ihrer Marke treffen. Sie wirkt dann wie ein Spurassistent, der Sie alarmiert nicht jeden Trend mitzumachen. Reflektieren Sie auch, zu viel Prozent Ihre Entscheidungen von Angst leitet sind und gleichen Sie Ihr unternehmerisches Tun mit dem ab, was Sie in Zukunft gesellschaftlich mitbedingend verantworten wollen. Tun Sie für sich als Personenmarke bzw. Ihr Unternehmen das, was Sie auch bei Dissens vertreten können und bleiben Sie bei dem, was zu Ihnen passt, auch wenn es heißt, kontrovers zu sein. Ehrlich währt am längsten.
Quelle Beitragsbild: VOTE, Jennifer Griffin auf Unsplash, Künstler: Mac Blackout